Wesen und Magie von Masken

Eine Einführung in die Jahresgruppe MaskenMasken!

Masken faszinieren und begleiten Menschen seit Jahrtausenden. Ob Gesichtsbemalung, ob im griechischen Drama als Maske des Akteurs, durch die es „hindurch tönt“, ob zum Bannen, Rufen oder Austreiben von Geistern und Dämonen – überall und zu allen Zeiten waren und sind Masken gegenwärtig.

Der Zauber und die Magie von Masken und Verkleidungen begegnen uns in der Kindheit im fröhlichen Spiel mit Verkleidungen und Masken, im Fasching und bei Perchtenläufen, in Schauspiel und Ritualen, bis zu den Maskeraden des Alltags, sei es bei der Arbeit oder in Festen und Partys. Psychologisch gesehen bringen Masken unsere inneren, verborgenen Gestalten, Talente und Sehnsüchte auf vielfältigste Weise zu Tage und können kraftvolle Metamorphosen (Verwandlungen) und überraschende Transformationen zu einer Integration vieler Bestandteile unseres Wesens bewirken.

Ein wichtiger Zugang zu Masken findet sich über das Psychodrama – dem Drama (der Erzählung, der Geschichte) des eigenen Lebens, seiner Inszenierungen auf den vielfältigen Bühnen des Lebens und ihr Wirken auf dem Weg zu einer ganzheitlich integrierten Persönlichkeit.

Wesen, Ich und Maske

Die Etymologie zeigt es wunderbar auf: Person und Persönlichkeit wird vom lat. persona abgeleitet – was das Hindurchtönen der Stimme (des Wesens, des Selbst) durch ein nach außen gezeigtes Gesicht beschreibt: die Vorsilbe „per“ bedeutet „durch“, und „sona“ kommt von „sonare“ – tönen, daher „hindurchtönen“.

Von Jean Gebser wissen wir: die elementare und anfangs auch höchst effiziente Neuerung der mental-rationalen Bewusstseinsstruktur gegenüber der vorherigen mythisch-psychischen Bewusstseinsstruktur war die Konstruktion, die Erfindung eines Ichs, das zwischen dem inneren, psychisch-mythischen Bewusstsein und der äußeren Welt gestellt wird. Dieses Ich-Konstrukt brachte darüber hinaus eine Reihe von weiteren effizienten Neuerungen, wie etwa das Verantwortungsbewusstsein, doch darüber wird an anderer Stelle eingegangen werden.

Nach über 2000 Jahren Ich-Entwicklung und Ich-Festigung bis zur überbordenden Dominanz der mental-rationalen Bewusstseinsstruktur haben wir als Menschen gelernt: Ich bin. Seit Rene Descartes (1596 – 1650) haben wir es explizit: Cogito ergo sum – ich denke, also bin ich.

Wir haben uns mit dem rationalen, denkenden Ich identifiziert – man könnte auch sagen: das Ich ist ein Werkzeug oder eine Methode der Identifikation – in beiden Fällen ist das Ich der  Identifikationskern unseres Lebens geworden. Aus „Persona“ ist „Ich“ geworden.

Doch: Sobald man sich mit seiner Persona identifiziert und sie schließlich für das einzig Wahre hält, verliert man Kontakt und Bezug zum Wesen, glaubt, die Persona sei das einzig Existierende und man sagt Ich zur Persona. Man wird die Maske. Und das Wesen entschwindet.

Genau diese Identifikation führte schließlich zum defizienten Teil der mental-rationalen Bewusstseinsstruktur. Alles wird dem Ich untergeordnet, wir sind alle pure Ich-Menschen geworden. Ein Wir, die Gemeinschaft, das Kollektiv, all diese so wertvollen Bereiche und Formen unseres Lebens stehen im Schatten der Ich-Dominanz.

Ebendies wird in der Schule in vielfacher Weise thematisiert und neue, eben integrale Wege werden aufgezeigt, experimentiert und erprobt. Das Maskenjahr ist ein Teil davon (andere Teile sind das Schattenjahr oder Professionelle Psychedelik wie vieles andere mehr)

Masken und das integrale Bewusstsein

Von den Bewusstseinsstrukturen Jean Gebsers her gesehen haben Masken ihren Ursprung in der magischen Bewusstseinsstruktur und finden ihre stärkste Ausformung und Verbreitung mit der mythisch-psychischen Bewusstseinsstruktur, die bis ins heutige Schauspiel und Theater reicht.

Vom jetzt im entstehen begriffenen integralen Bewusstsein aus betrachtet sind Masken nahezu perfekte, ja ideale Arbeitsmittel, um Aspekte und Fragmente unserer Persönlichkeit in unsere Bewusstheit zu bringen, sie zu erforschen und kennenzulernen und je nach Bedarf und Gegebenheit das Hervorgebrachte im Leben schrittweise zu integrieren.

Da Schatten und Masken vielfältige Wechselbeziehungen haben, ist im Sinne der Vision „Auf dem Weg zum integralen Bewusstsein“ die Arbeit mit Schatten wie der mit Masken ein fast schon zwingender Bestandteil.

Um in diese magischen Welten der Masken einzutauchen und den Zauber selbst zu erleben, haben wir ein Maskenjahr als einjährigen Praxislehrgang entworfen. Das Maskenjahr umfasst eine Reihe von thematischen Workshops und gipfelt in einem einwöchigen Maskentanz.

Das Maskenjahr

Am Anfang des Maskenjahres stehen ganz simple Masken von etwas antiquierten Alltagsgesichtern auf einfachem Karton, wie sie im Wien-Museum oder auch in Faschingsgeschäften billig zu haben sind. Das Erleben der Metamorphose (der Verwandlung), die ersten Schritte mit einem Spiel mit Masken untereinander, das Berühren des Wesens, das hinter der Maske steht, bis zum Erarbeiten eines neuen Selbstausdruckes – all das sind die Themenschwerpunkte der ersten beiden Workshops. Zahlreiche praktische Sequenzen mit dem Spielen dieser einfachen Masken veranschaulichen auf meist heitere Weise die tiefe Wirksamkeit von Masken.

Die nächste Stufe bringt das psychodramatisch eingebettete Spiel – eine Maske wird mit einfachen eigenen Mitteln gebaut, die Geschichte rund um die Maske er- oder gefunden, und um ihr Drama zu erzählen, wird eine eigene Bühne geschaffen – mit den Teilnehmern als Publikum und Kritiker gleichzeitig. Und anderen Teilnehmern als Mitspieler – sei es ein Stehgreiftheater oder genau abgesprochen.

In diesen psychodramatischen Bühnenräumen begegnen sich bereits die tiefer verborgenen Seiten und Gestalten. Sie ins Leben zu tragen, auszuspielen und zu variieren ist eine fast unmittelbare Folge davon. Den Höhepunkt der psychodramatischen Maskenarbeit ist das, was im Schauspiel die „leere Maske“ genannt wird. Wobei die leere Maske eine wirkliche Herausforderung ist, die schon eine gute Einarbeitung ins Maskenthema voraussetzt. Die Reichweite der leeren Maske dehnt sich bis zum transpersonalen Selbst und schließlich bis zum Nicht-Ich.

Der Maskentanz

Das Maskenjahr gipfelt schließlich in einem einwöchigen, schamanisch ausgerichteten  Maskentanz mit Maskenbau und Tranceritualen auf der Basis indigener Trance- und Ritualkulturen – die Begegnung mit dem eigenen Krafttier, von dem man über Kraft hinaus auch noch vielfältiges Wissen und Weisheit als Geschenk bekommen kann.

Diese Form des Maskentanzes geht zurück auf den ersten Maskentanz dieser Art im Jahr 1985, bei dem ich unter der Leitung von Felicitas Goodman für den Bau der Masken zuständig war. Der Maskentanz ist eine Übertragung traditioneller indianischer Ritualtänze in unsere westliche Kultur, so wie es Felicitas Goodman auch mit den rituellen Körperhaltungen getan hat.

Mit Hilfe von Rasseltrancen mit rituellen Körperhaltungen wird zu Beginn das Krafttier gefunden, das mit der Maske seine Gestalt bekommt. Der Bau der Maske ist ein zutiefst magischer Prozess, in dem das Krafttier Schritt für Schritt zutage tritt, sich zeigt, sich manifestiert. Mit weiteren Rasseltrancen sammeln wir Stück für Stück die rituellen Schritte und Abschnitte, die wir am Ende in einem großen Tanz der Masken feiern.

Der Maskentanz dauert eine ganze Woche. Dazu werden wir in einem ruhig gelegenen Seminarhaus am Land sein, um die Masken auch in der Natur spielen zu können.

Zusammenfassend kann man sagen:

Die Arbeit mit Masken entfesselt die Phantasie, bewirkt Schutz und Täuschung, erlaubt Bewusstwerden von Unbewusstem, ist vertiefte Selbsterfahrung in faszinierender  Schattenarbeit und ermöglicht letztendlich eine neue Integration und Persönlichkeitsentwicklung in Richtung Integrales Bewusstsein in Einem.

Dr. Rudolf Kapellner und das Team der Schule

Wien, im Dezember 2021

Quellen:

  • Jean Gebser, „Ursprung und Gegenwart“, sowie alle weiteren Bücher von J. Gebser im Verlag Chronos Zürich
  • Die etymologische Herleitung des Begriffes „persona“ entnommen Wikipedia 2019 0 https://de.wikipedia.org/wiki/Persona
  • ebenda: Der Schweizer Psychologe C. G. Jung übertrug den Begriff in die Tiefenpsychologie und schrieb: Die Persona „ist aber, wie ihr Name sagt, nur eine Maske der Kollektivpsyche, eine Maske, die Individualität vortäuscht, die andere und einen selber glauben macht, man sei individuell, während es doch nur eine gespielte Rolle ist, in der die Kollektivpsyche spricht.“ siehe: C.G. Jung (1928, 2. Aufl. 1934): Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten. GW 7, Zitat §245.

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